Teilprojekt 1

Menschenrechtliche Effekte und Kaskadeneffekte im Vorgehen gegen islamistischen Terrorismus

Sicherheitsrecht und Sicherheitspolitik in Gestalt gesetzgeberischer, behördlicher und gerichtlicher Maßnahmen im „Kampf“ gegen islamistischen Terrorismus stellen einen zentralen Anwendungsbereich für die im Verbundprojekt behandelten Wechselwirkungen dar.

Seit den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 wurden die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen im sog. Anti-Terror-Kampf weltweit stetig verschärft. Die verschiedenen Teilelemente der deutschen Anti-Terror-Gesetzgebung gehen dabei weitgehend auf die Einbindung Deutschlands in internationale Organisationen, multilaterale Foren und in die EU zurück und beziehen sich auf eine komplexe Vielzahl an Anwendungsgebiete: Dem Ansatz einer ganzheitlichen Verhinderung und Verfolgung terroristischer Taten entsprechend wurden unter anderem die Aufklärungs- und Ermittlungsbefugnisse, die dem Bundesnachrichtendienst und dem Bundesamt für Verfassungsschutz sowie dem Bundeskriminalamt zur Gefahrenabwehr und Straftatenverhütung zukommen, ausgeweitet sowie vereins- und aufenthaltsrechtliche Berechtigungen eingeschränkt. Mit dem Zuwanderungsgesetz wurde die Regelausweisung von Ausländern eingeführt, die einer Vereinigung angehören oder angehört haben, die den Terrorismus unterstützt; ferner wurde die Abschiebungsanordnung als Instrument für eine beschleunigte Aufenthaltsbeendigung von terroristischen „Top-Gefährdern“ in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen.

Eine Praxis deutscher Sicherheitsorgane, die in der Folge der Anschläge auf dem Berliner Breitscheidplatz forciert wurde, ist, dass auch das Migrationsrecht zunehmend gegenüber nichtdeutschen Staatsangehörigen als Instrument im „Anti-Terror-Kampf“ eingesetzt wird. Die „Flüchtlingskrise“ führte zu einer Dynamisierung und Ausweitung sicherheitsbezogener Maßnahmen in Deutschland. Deren übergreifendes Kennzeichen ist die Bereitschaft von Gesetzgeber, Behörden und Gerichten, nicht nur auf konkrete terroristische Bedrohungen zu reagieren, sondern mit dem Konzept „vorsorgender Sicherheitspolitik“ eine Reduzierung terroristischer Risiken zu bewirken. Damit geht einher, dass nicht nur die Strafbarkeit terroristischer Täter, sondern auch sicherheitsbehördliche Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse sowie die Abschiebung ausländischer terroristischer Gefährder zeitlich vorgelagert und sachlich ausgeweitet wird. Eine vorsorgende Sicherheitspolitik verfolgt somit das Ziel einer (von einem zeitlich, sachlich und personell konkretisierbaren Terroranschlag unabhängigen) Verbesserung gesamtgesellschaftlicher Sicherheit.

Ein – politisch und rechtlich – in Kauf genommener „Kaskadeneffekt“ des Konzepts vorsorgender Sicherheit ist, dass sich der Personenkreis vergrößert, der von Sicherheitsmaßnahmen betroffen ist. Er erfasst auch Muslime in ihren grund- und menschenrechtlichen Freiheitsrechten, die entweder gar nicht dem radikalisierten Islam zugehörig sind – oder, wie im Kontext der migrationsrechtlichen Abschiebungsanordnung, „lediglich“ mit diesem sympathisieren.

Zentrales Forschungsinteresse

Forschungsinhalt ist vor diesem Hintergrund die rechtsdogmatisch systematisierende und funktional-rechtsvergleichende Analyse von Art, Umfang und Auswirkungen grund- und menschenrechtlicher Rechtsbeschränkungen, die im „Anti-Terror-Kampf“ aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive vornehmlich die muslimische Gemeinschaft betreffen. Im Fokus stehen dabei grund- und menschenrechtliche Garantien, die in nationalen Verfassungen und in europäischen Menschenrechtsverbürgungen wie der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechtecharta verankert sind.

Vorgehen

In einem ersten Schritt analysiert das Vorhaben grund- und menschenrechtliche Belastungen, die durch Anti-Terrorismus-Maßnahmen auf die Adressaten und auf Dritte entstehen. Diese werden anschließend anhand verschiedener Parameter erarbeitet, um Rückschlüsse auf die Gruppe der betroffenen Dritten zu ziehen. Das besondere Augenmerk der Analyse liegt darauf, ob und inwieweit sich eine spezifische grund- und menschenrechtliche Überbelastung von Muslimen ausfindig machen lässt, die in der Studie unter dem Begriff der „Kaskadeneffekte“ systematisiert und anhand grund- und menschenrechtlicher Standards bewertet werden.

In einem zweiten Schritt wird diese Perspektive um eine funktional-rechtsvergleichende Analyse in Bezug auf Rechtsregime innerhalb und außerhalb der EU erweitert, die auch rechtspolitische Schlussfolgerungen erlaubt.