Teilprojekt 6
Islamische Predigten: Quelle von Radikalisierung oder ihr Gegenmittel?
Islamische Predigten in Deutschland gelten in der Öffentlichkeit oft als Quelle von Radikalisierung. Muslimische Verbände hingegen verstehen sie als ihr Gegenmittel. Trotz ihrer Bedeutung für das islamische Glaubensleben – die Teilnahme an einer Freitagspredigt ist für muslimische Männer eine religiöse Pflicht – sind bislang islamische Predigten auch im globalen Kontext wissenschaftlich kaum erforscht worden, sondern eher Gegenstand journalistischer Darstellung.
Dieses Teilprojekt zielt darauf ab, der notwendigen gesellschaftspolitischen Debatte und der Komplexität des Themas mit einer systematischen, methodischen und interdisziplinären wissenschaftlichen Analyse der Freitagspredigten gerecht zu werden. So können damit verbundene Probleme besser verstanden werden und (mit islamischen Theolog*innen, Imam*innen und muslimischen Verbänden) an Reformen bezüglich ihrer Inhalte gearbeitet werden.
Zentrales Forschungsinteresse
Themen, Formen und Referenzen (Koran, Prophetentradition, islamische Theologie o.a.) islamischer Predigten in Deutschland:
- Inwiefern unterscheiden sich „normale“ und salafistische Predigten hinsichtlich der Thematisierung von Radikalisierung und Gewalt?
- Wie verwenden Imame und Prediger religiöse Texte, um die muslimische Gemeinschaft religiös-moralisch sowie theologisch zu bilden und zu beeinflussen, aber auch, um womöglich Extremismus zu fördern?
- Nutzen Prediger die wachsende Kluft zwischen den religiös geforderten und den gesellschaftlich geltenden Werten aus, um (vor allem junge) Muslime zu irritieren und dann Halt und Wegweisung in radikalen Positionen anzubieten?
Vorgehen
Im Rahmen des Projekts „Islam in Bayern“ (Bayerische Akademie der Wissenschaften, 2015-18) konnte das EZIRE fast 100 salafistische Predigten sammeln. Dieser Bestand soll durch die Sammlung weiterer „normaler“ und von den muslimischen Verbänden DITIB, IGMG und VIKZ sowie der türkischen Religionsbehörde Diyanet veröffentlichten Predigten vergrößert und in einem systematisch erschlossenen Predigtarchiv zusammengeführt werden. Dieses Predigtarchiv wird am Projektende öffentlich zugänglich gemacht.
Die regelmäßige Aufzeichnung von Predigten in Moscheen der genannten Verbände (vor allem in der Metropolregion Nürnberg, stichprobenartig durch Kooperationspartner auch bundesweit) soll den Vergleich mit den schriftlich veröffentlichten Predigten derselben Verbände ermöglichen und untersuchen, ob die von den Verbänden bundesweit vorgebenen Predigten auch tatsächlich gehalten werden (oder ob, z.B., auf die vorgegebenen Predigten der türkischen Diyanet zurückgegriffen wird). Zudem wird systematisch untersucht, ob sich die türkische und die deutsche Fassung der jeweiligen Freitagspredigt unterscheiden.
In Fokusgruppeninterviews mit Muslim*innen und islamischen Theolog*innen sollen ferner Predigtauszüge zur Diskussion gestellt werden, um am Projektende zielführende Handlungsempfehlungen für muslimische Verbände und die Politik erarbeiten zu können.
Ergebnisse und Handlungsempfehlungen
Der Fokus des Teilprojekts lag auf dem islamischen Mainstream in Deutschland, der die überwältigende Mehrheit der Muslim:innen hierzulande umfasst. Es sollte geklärt werden, ob in den Moschee der drei großen türkeistämmigen Verbände Hass oder Desintegration gepredigt wird, wie in der Öffentlichkeit immer wieder diskutiert wird. Auf Basis der Studie kann festgehalten werden, dass rituelle Freitagspredigten ein großes Themenspektrum ansprechen, vor allem religiös-ethische und spezifisch islambezogene. Einen großen Platz nehmen auch die Themen Familie, Nachbarschaft und religiöse Gemeinde/Gemeinschaft ein. Hier wird zu Respekt und gegenseitige Hilfe aufgefordert. Sie adressieren aber auch allgemeine gesellschaftliche Fragen, wie Umweltschutz oder die Sorge für Waisen oder Pflegekinder, und rufen zu zivilgesellschaftlichen Engagement als Bürger:innen islamischen Glaubens auf. Sehr deutlich wurde, dass die türkeistämmigen Islamverbände durch ihre zentralen Freitagspredigten keine extremistischen Botschaften verbreiten bzw. Extremismus ablehnen und Terrorismus verurteilen. Indem sie gegen die „islamistische Radikalisierung“ predigen, erbringen sie einen wichtigen Beitrag zur Prävention. Sie haben jedoch ein viel größeres Potenzial, das sie ausschöpfen könnten, wenn sie sich sprachlich wie strukturell weiteren Schichten und Gruppen von Muslim:innen und Nicht-Muslim:innen öffnen und sie in ihre Kommunikation – zum Beispiel durch deutschsprachige Predigten vor Ort und via Internet – einschließen und in die Strukturen integrieren würden. Damit könnten die großen islamischen Verbände effektiver den Hasspredigern oder extremen Moscheen entgegentreten. Generell ist es ein Problem, dass religiöse Dienstleistungen weiterhin mehrheitlich in türkischer Sprache erfolgen und damit deutsche Konvertit:innen oder junge Migrant:innen, die anfälliger für extremistische Narrative sind, nicht erreichen. Politik und Medien sollten diesen integrativen, partizipativen und präventiven Weg positiv und fördernd (z.B. durch Unterstützung von Imamfortbildungen) aufgreifen und bestehende Initiativen und Aktivitäten durch Anerkennung und Würdigung in der Gesellschaft sichtbar machen.
Team
Leitung
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Serdar Aslan
Beirat
Wissenschaftliche Hilfskraft
Elif Göksu