Hüseyin Çiçek über die Identitätspolitik der AKP

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©Denise Kopf

In einem Gastkommentar für den Kurier erklärt Priv.- Doz. Mag. Dr. Hüseyin Çiçek, wie Erdoğans AKP viele Auslandstürken beeinflusst und wie trotzdem ein Grundkonsens zwischen der türkisch-muslimischen Einwanderungsgesellschaft und der Mehrheitsgesellschaft gefunden werden kann.

Die AKP setze auf eine Identitätspolitik mit einer starken Betonung des Islam, wobei Präsident Erdoğan im Zentrum steht, so Çiçek. Das Hauptziel dieser Strategie sei es, sowohl die eigene Wählerschaft als auch muslimische Nicht-Türken von der auserwählten Rolle Erdoğans zu überzeugen und die Türkei als rechtmäßigen Vertreter der islamischen Länder zu etablieren.

Damit beeinflusst Erdoğan auch viele Auslandstürken. Die EU oder die USA werden dabei von verschiedenen türkischen Akteuren als unmoralisch dargestellt, während Erdoğans Handeln als moralisch überlegen, selbstlos und vor allem nicht nur zum Wohl der Türkei, sondern einer größeren muslimischen Gemeinschaft dargestellt wird. So übernehmen viele Auslandstürken, die vor allem während der Wahl in den Fokus von Ankara rücken, die Position der AKP, um eigene Interessen durchzusetzen bzw. ihre Haltung zu legitimieren.

Meinungspluralität und Rechtsstaatlichkeit werden als Defizite verbucht, obwohl es gerade diese Faktoren sind, die dazu beigetragen haben, dass viele Nachkommen der Gastarbeiter heute wichtige Schlüsselpositionen besetzen. Während Erdoğan und bestimmte Teile der Auslandstürken Akzeptanz für ihre politischen Überzeugungen und Ziele einfordern, zeigen sie jedoch nicht die gleiche Bereitschaft, die politische Autonomie und Selbstbestimmung anderer in gleichem Maße anzuerkennen.

Um einen Kompromiss zu finden, der sowohl Einwanderungsgesellschaft als auch die Mehrheitsgesellschaft zufriedenstellt, sieht Çiçek vor allem die politischen und religiösen Einrichtungen der Einwanderungsgesellschaft in der Pflicht, durch die erst die illiberalen politischen Ansichten der AKP an Bedeutung gewinnen. Einzig durch ein klares Bekenntnis zum Verfassungsstaat kann sichergestellt werden, dass gesellschaftliche Spaltung sowie politische Radikalisierung eingedämmt werden können. Es gälte zu verstehen, dass Dialog und Austausch keinen allumfassenden Konsens schaffen müssen, so Çiçek. Ein Minimalkonsens, der darin bestehen, dass alle Teile der Gesellschaft den freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat als notwendige Rahmenbedingung für die Freiheiten aller akzeptieren, sei ausreichend.

 

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