Streitgespräch mit Mathias Rohe: Religionen als Brandbeschleuniger?

Bild mit dem Begriff "Religion" und religiösen Symbolen der Weltreligionen, wie dem Davidsstern, dem christlichen Kreuz oder dem muslimischen Halbmond
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Wie friedlich sind Religionen? In einem Streitgespräch der Nürnberger Nachrichten diskutiert Mathias Rohe, Direktor des EZIRE, das Gewaltpotential von Islam und Christentum mit Tarek Badawia, Professor für Islamisch-Religiöse Studien mit Schwerpunkt Religionspädagogik/Religionslehre an der FAU und dem Nürnberger Regionalbischof Stefan Ark Nitsche.

Am Beispiel des jüngsten Wendepunkts im Nahostkonflikt, die Verlegung der US-amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem, zeigt Islamwissenschaftler Rohe das negative Mobilisierungspotential von Religionen auf. Obwohl die Entscheidung der Verlegung der Botschaft von US-Präsident Trump innenpolitisch motiviert gewesen sei, hätten religiöse Fundamentalisten auf allen Seiten durch die Entscheidung Oberwasser bekommen. In diesem Zusammenhang steht auch seine Kritik des Begriffs „Heiliges Land“: Wenn Herrschaftsansprüche religiös aufgeladen würden, werde es schnell „unheilig“: Weil man die eigene Heilsbotschaft erfüllen wolle, lasse man die anderen nicht mehr gelten. Außerdem beobachtet er, dass bei allen Parteien im Nahostkonflikt die Bereitschaft, das massive Leiden der jeweils anderen Seite wahrzunehmen, die letzten Jahrzehnte immer geringer geworden sei. Die religiöse Aufladung des Nahostkonflikts besorgt Rohe dabei besonders: Es werde nicht mehr getrennt zwischen dem politischen Konflikt und dem Misstrauen der arabischen Seite gegenüber Juden insgesamt. Dies bekämen auch jüdische Gemeinden in Europa zu spüren. Diese würden für politische Handlungen Israels verantwortlich gemacht.

Die Charakterisierung des Christentums als grundsätzlich friedfertige Religion in Abgrenzung vom Islam als grundsätzlich gewalttätige Religion, welche ihm in Diskussionen immer wieder begegne, hält Rohe für verfehlt. Eine Entwicklung zu Gewaltlosigkeit könne man bestenfalls für die großen christlichen Konfessionen in Westeuropa feststellen. Dies gelte nicht unbedingt für die orthodoxen Kirchen in Osteuropa: Beispielsweise hätten im Jugoslawien-Krieg serbische Bischöfe zum „heiligen Krieg“ gegen Muslime aufgerufen. Im russischen Klerus gebe es Stimmen, die Gewalt befürworteten. Aber auch der katholische Radiosender Maryja in Polen spiele nicht gerade eine friedensstiftende Rolle. Probleme entstünden in jeder Religion, wenn ihr legitimer Wahrheitsanspruch mit einem Herrschaftsanspruch über das gesellschaftliche Leben verknüpft werde.

Rohes Kollege Badawia fordert im Gespräch die Entpolitisierung des Islams im deutschen Bildungswesen. Dafür müssten Muslime die Fragen der theologischen Autorität und der Deutungshoheit der islamischen Primärquellen klären. Plattform dafür könne ein islamischer Rat sein, der die Ergebnisse nach außen trage. Rohe unterstützt diesen Weg und rechtfertigt die schrittweise Vorgehensweise: Deutschland habe klug daran getan, Plattformen zu schaffen, wo muslimische Debatten ausgetragen werden könnten. Man müsse sich diesem Sortierungsprozess der muslimischen Gemeinschaften in Deutschland, den Rohe als „Graswurzel-Entwicklung“ bezeichnet, stellen. Der Islamwissenschaftler macht aber deutlich: „Was wir sicher nicht bekommen werden, ist ein verbindlicher Lehrkanon der einen muslimischen Organisation, der […] auch noch irgendwie mit Unfehlbarkeit versehen ist.“ Es gehe nicht darum, einen „cleanen Staatsislam“ zu schaffen, sondern „einen möglichst breiten Fundus an gemeinsamen Überzeugungen herauszudestillieren, und Mechanismen zu schaffen, wie man mit den Unterschieden friedlich leben kann“. Diese Möglichkeiten der Entfaltung im Rahmen einer freiheitlichen Gesellschaft sei für Muslime eine große Chance, die diese auch nutzten, ist Rohe optimistisch.

Abschließend macht der EZIRE-Direktor noch einmal deutlich, dass große Gewalttätigkeit nicht auf Religionen beschränkt sei – auch säkulare Weltanschauungen hätten ihr Gewaltpotential in der Geschichte gezeigt. Entscheidend sei weniger das Label, sondern stets die Inhalte. Angesichts der gesellschaftlichen Pluralität gehe es darum, einen Konsens zu entwickeln. Dabei sei es nicht entscheidend, ob dieser ethisch oder religiös begründet werde. Jeder Mensch brauche sein Welterklärungssystem. Hierbei könnten Religionen sehr positiv wirken.