„Der Islam ist in Deutschland kein Ausnahmezustand“

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Paralleljustiz, Kinderehen, Terrorismus und generelle Zweifel daran, ob der Islam das europäische Prinzip der Trennung von Stadt und Religion überhaupt akzeptiert – diese Themen bestimmen derzeit die Diskussionen der deutschen Öffentlichkeit. Der Islam wird kritisch betrachtet, vielfach wird seine Fähigkeit, sich an europäische Rechtsstaatlichkeit zu halten, bezweifelt. Und: Angst bestimmt diesen Diskurs.

Diese Dynamik sieht auch Mathias Rohe, Islamwissenschaftler, Jurist und Direktor des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa. Er sagt: „Wir sprechen zu wenig differenziert über Religion.“ Viele Menschen hätten Kenntnisse von einem Islam, wie er vielleicht in Saudi-Arabien oder im Iran  praktiziert würde, aber wüssten wenig über die Lebensrealität von Muslimen in Deutschland. In einem Interview mit dem Norddeutschen Rundfunk legt Rohe dar, welche der Ängste, die derzeit in den Medien kursieren, dennoch eine Berechtigung haben: So gäbe es tatsächlich die Gefahr eines erstarkenden politischen Salafismus und anderer islamistischen Strömungen. Man dürfe hier nicht beschwichtigen: Der Islam habe, wie alle Religionen und Weltanschauungen, ein Gewaltpotential. Die relativierende Aussage, dass islamistischer Terrorismus nichts mit dem Islam zu tun, sei daher wenig hilfreich, so Rohe. Auch das patriarchalische Weltbild, das in vielen muslimischen Gemeinschaften herrsche, sei nicht mit deutschen Konventionen vereinbar. Manche kämen mit dem Klischee hierher, dass „die Europäerin leicht zu haben“ sei. Dieses Weltbild sei eine große Baustelle bei der Integration, so der Islamwissenschaftler im Interview mit dem Spiegel: „Wir werden jetzt konfrontiert mit einer Globalisierung, die auch ihre Schattenseiten hat“.

Rohe erklärt aber auch, dass eine kritische Auseinandersetzung mit den eigenen heiligen Schriften von vielen Muslimen in Europa bereits geführt werde – „z.B. unter den islamischen Theologinnen und Theologen an den Unis.“ Die Befürchtung, dass Muslime die Gebote ihrer Religion nicht mit dem deutschen Rechtsstaat in Einklang bringen könnten, weist Rohe ebenfalls zurück: „Diese Sichtweise übersieht die evidente Vielfalt muslimischer Positionen“. Viele europäische Muslime hielten die Trennung zwischen einer islamischen und einer nicht-islamischen Welt für überholt: „Nur Extremisten erkennen diese Vorstellung nicht an“, so Rohe in einem Gastartikel für die Huffington Post. Er zitiert eine Studie, aus der hervorgeht, dass nur 10% der über 18jährigen, in Deutschland lebenden Muslime, sich von demokratischen und rechtsstaatlichen Grundelementen distanzierten. Hier bestehe eine Korrelation zu den oftmals prekären Lebensverhältnissen, so Rohe.

Für den Großteil der Muslime ist die Verbundenheit zu ihrer Religion und ein Leben im Einklang mit dem deutschen Rechtsstaat kein Widerspruch: Dies seien „Menschen, die ihre religiöse Identität wahren, sich aber zugleich als integraler Teil der deutschen Gesellschaft verstehen“. Sie sähen sich als Einheimische und sollten daher auch so behandelt werden. Für Mathias Rohe ist daher klar: „Der Islam ist in Deutschland kein struktureller Ausnahmezustand mehr.“

Die zitierten Artikel und weitere Informationen finden Sie hier: Rheinische Post, Huffington Post, NDR, der Spiegel